Texte
Text von Kathrin Frauenfelder, Kunsthistorikerin, zur Ausstellung im Juli 2023
Lichtsignale
Ausschlaggebend für das Thema ihrer neuen Bilder waren die durch eine unsichtbare Strassenlaterne zum Glänzen gebrachten, regennassen Blätter eines Baumes vor ihrem Küchenfenster. Das verspielte Glitzern der feuchten Blätter in der dunklen Nacht fesselte die Aufmerksamkeit der Künstlerin. Die Faszination war so gross, dass sie den Augenblick sogleich mit ihrer Handykamera festhielt. Im Atelier realisierte sie nach dem Schnappschuss das kleinformatige Bild o.T.; Blick aus dem Küchenfenster. Sie malte die menschenleere Strasse und die strengen Formen der in Umbra und Gelb gehaltenen Wohnblocks, deren Silhouetten sich zusammen mit den erleuchteten Blättern auf dem schwarzen Asphalt spiegelten. In dieser spröden Umgebung hob sich der im Schein des Lichtes funkelnde Baum kontrastreich ab, so als wäre es ein mit einer Lichtgirlande geschmückter Christbaum. «Um Malen zu können, brauche ich einen Impuls aus der Wirklichkeit» kommentiert die passionierte Stadtwanderin ihr künstlerisches Vorgehen und fügt hinzu: «Ich male zwar die Stadt, doch jetzt male ich die Lichter der Stadt.»
Das ästhetische Ereignis gab ihrer Malerei einen unerwarteten Impuls. Auf ihren Streifzügen entdeckte sie in der Stadtlandschaft nun überall brennende Lichter, die sie in kräftigen Farben malt, wie zum Beispiel das leuchtende Rot der Bremslichter am Heck der Autos und Lastwagen. Das gleissende Licht der Scheinwerfer einer entgegenkommenden Autokolonne. Die vielfältigen Reflexe der Autoscheinwerfer auf der winterlich kalten Strasse oder das Schimmern des Fussgängerstreifens im Schein des grellen Orange einer Ampel. Im Zwielicht der Dämmerung dominiert das blaue Lichtspektrum am Himmel, weshalb das langwellige Orange kräftiger leuchtet als am helllichten Tag. Der besonderen Stimmung während der «l’heure bleue» begegnen wir nicht nur in o.T.; Orange Ampel, sondern auch in o.T.; Escher-Wyss-Platz, wo das Strahlen der vielen verschiedenen Lichter dem unscheinbaren Ort einen Hauch von Glamour verleiht. Nicht immer spielen die künstlichen Lichtquellen die Hauptrolle. Oft wird der Himmel selbst zur Bühne für atmosphärische Lichterscheinungen: für spektakuläre Sonnenuntergänge, eindrucksvolle Wolkenformationen oder für grelle Sonnenstrahlen.
Für ihre Darstellungen wählt Christa Baumgartner bewusst das kleine Bildformat. Dieses lässt sich nicht mit der gleichen Geschwindigkeit bearbeiten wie eine grossformatige Leinwand. Auch die Pinselführung und der Farbauftrag erlauben keine grossen Gesten. Vielmehr zwingt das Kleinformat zur Konzentration und zur Beschränkung auf ein Motiv, das die Malerin mit grossem Detailreichtum, intensivem Farbauftrag sowie mit subtiler maltechnischer Differenziertheit wiedergibt. «Ich male ab, ich erfinde nichts» sagt die Künstlerin, die stets nach einer Vorlage arbeitet. Doch dieses präzise Abmalen bringt die Dinge auf den Punkt. Sie entwickeln sozusagen Signalkraft.
Meistens betrachten wir unser unmittelbares Umfeld kaum. Den unzähligen Ampeln, der Strassenbeleuchtung oder den Wetterverhältnissen schenken wir wenig Beachtung. Weder die Gebäude, die wir täglich abschreiten fallen uns auf, noch die Strassen, denen wir entlanggehen oder die Brücken, die wir überqueren. Diese alltäglichen Routinen geschehen beiläufig und unbedacht. Die Macht der Gewohnheit hat uns blind gemacht für das Ausgefallene unseres Alltags. Doch gerade darin liegt der Reiz von Christa Baumgartners Stadtlandschaften: Sie zeigen uns, dass unsere Umgebung sehr wohl ihren eigenen Wert hat. Dass das Alltägliche voller unerwarteter Details steckt, sich das Gewohnte verändert und stets neu erlebt werden kann.
Christa Baumgartner folgt keiner Ideologie. Die Künstlerin, die 2013 in London an der berühmten Slade School of Fine Art eine Weiterbildung genoss, hat viel Selbstvertrauen gewonnen, als sie erkannt hat, dass sich die englischen MalerInnen längst befreit haben von allem theoretischen Ballast, von der Strenge und den Verabsolutierungen der Programme, oder von allem Fortschrittsdenken wie dies die Avantgarde lange propagierte. So hat auch Christa Baumgartner Fesseln abgeworfen. Sie gibt sich mit viel Lust und Schaffensdrang ihrer, der Pop-Art zuneigenden, figurativen Malerei hin und zeigt uns die Stadt in neuem Licht.
Kathrin Frauenfelder, Dr. phil. Kunsthistorikerin